
Das „Schlepperwrack“ vor Warnemünde – Digitale Konservierung
19. Mai 2022
Im März 2009 erreichte das LAKD eine überraschende Nachricht zu einem Schiffsfund vor Warnemünde. Im stark befahrenen Bereich 1,4 km nordwestlich der Warnemünder Molen entdeckte Dr. Franz Tauber vom Leibnitz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde bei Sonarkartierungen ein Wrack von etwa 15 m Länge und einer Erhebung von etwa 2 m über Grund. Das LAKD bat den Rostocker Verein Gesellschaft für Schiffsarchäologie e.V. um die Untersuchung des Neufundes Rostock-Ost 88 mit der Bitte, die Position vorerst nicht zu so weit zu streuen. Wie sich herausstellen sollte: zurecht.

Noch im selben Jahr führten erste Tauchgänge am Wrack zu Berichten über ein gut erhaltenes, unberührtes Arbeitsschiff. Die Schiffsform, die Motorisierung, ein massiver Doppelkreuzpoller und der Umfang des Propellers wiesen auf einen Schlepper hin. Zeitnah angestellte Recherchen deuteten auf einen Hafen- oder Binnenschlepper, vielleicht um die Jahrhundertwende gebaut, dann eventuell von Dampf- auf Dieselmaschine umgerüstet, wegen dem typischen H-Poller möglicherweise holländischer Herkunft. Ein etwa hundert Jahre altes, aber auf Grund seines Erhaltungszustandes spannendes Objekt für die weitere Erforschung durch die Bodendenkmalpfleger des Vereins.

Ab 2010 gingen dann Gerüchte durch die Rostocker Tauchszene von einem neuen Kriegsschiff vor Warnemünde, aus dem man Geschirr mit Hakenkreuzen, den Kompass und andere Gegenstände entnommen hätte. Im Frühjahr 2011 mussten Taucher der GfS dann die Schäden unter Wasser feststellen, das gesamte Vorschiff war durchwühlt und die Zusammenhänge zerstört. Die Veränderungen waren so stark, dass selbst von durchgezogenen Ankern ausgegangen wurde. Die Eingriffe ließen aber die Folgejahre nicht nach, immer wieder wurden Plünderungen am Schlepperwrack dokumentiert und in der regionalen und überregionalen Presse aufgegriffen. Der Zerfallsprozess beschleunigte sich und machte Sicherungsmaßnahmen zur Stabilisierung des Befundes notwendig. Die Fundzusammenhänge waren zerstört, Hinweise zur Identifizierung des verhältnismäßig jungen Objektes verschwunden. Hölzerne Reste der Spinte mit Stiefeln, Spüle und Herd in der Kajüte, Bullaugen, der Dieselmotor oder der Propeller gaben Auskunft zum Leben und Arbeiten an Bord, die harten Fakten wie Baujahr und -ort, Zeit und Ursache des Unterganges blieben aber verborgen.

Da sich der Zustand über die Jahre verschlechterte, entschloss sich der Verein in Abstimmung mit dem LAKD, den Schlepper als aussagekräftiges Beispiel des Kulturerbes unter Wasser in den 2021 durch das Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur geförderten Digitalisierungsansatz einzubeziehen. Der Fundplatz wurde nach aufwändigen Vorbereitungen mit über 3000 Einzelfotos unter Wasser aufgenommen und anschließend zu einem 3D-Modell gerechnet.

Der Ansatz, die Bodendenkmale in der Form digital zu sichern, aber auch für die Allgemeinheit erlebbar zu machen, zeigte Wirkung. Am konkreten Beispiel des Schleppers setzten sich umsichtige Taucher dafür ein, Funde des Denkmals zurück zu holen und der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. Wir freuen uns sehr, dass wir in dem Zuge die Übergabe des Kompasses, von Geschirr aber auch des Werftschildes an das LAKD vermitteln konnten.

Wir wissen jetzt: Der Schlepper wurde 1929 mit der Baunummer 676 auf der Werft t`Hondsbosch im nordholländischen Alkmaar gebaut. Vergleichsfotos von Schleppern der Werft aus den 1930er Jahren zeigen eine typische Bauform mit H-Poller, Dieselmotor und Anordnung der Aufbauten, wie wir sie unter Wasser finden. Leider wurde die Werft 1951 abgewickelt und Unterlagen sind nicht erhalten oder auffindbar. Die Aufdrucke auf Tellern und Kanne geben Hinweise auf die letzte Nutzung durch die Deutsche Kriegsmarine. Anfragen bei holländischen Archiven und Fachleuten, aber auch im Bundesarchiv oder dem wehrgeschichtlichen Ausbildungszentrum der Marine laufen und führen im besten Fall zu sicheren Informationen zur Nutzung und Untergangsursache.
Digitalisierung ist durch ihre Präsentation keine Einbahnstraße. In diesem Falle hat die Verfügbarmachung eines Schiffswracks dazu geführt, dass engagierte Taucher sich um die Wiederbeschaffung von Funden bemühten. Nach 10 Jahren konnten so einige Rätsel um den Warnemünder Schlepper gelöst werden. Diese Informationen, das 3D-Modell der Gesellschaft für Schiffsarchäologie e.V., aber auch die durchs LAKD angefertigten 3D-Scans der Funde stehen jetzt Interessierten zur Verfügung.