Das Flugzeugwrack im Kölpiensee/Peenemünde
12. April 2014
Im März boten die Filmaufnahmen zu der BBC-Dokumentation „The Lancaster: Britain’s flying Past“ die Möglichkeit archäologische Untersuchungen an dem Bomberwrack im Kölpiensee bei Peenemünde durchzuführen. Dies ist normalerweise nicht möglich, da der See nicht befahren werden darf. Für die Filmarbeiten hatte die BBC aber eine Ausnahmegenehmigung erhalten und angefragt, ob wir ihre Arbeiten unterstützen könnten. Da sich solch eine Gelegenheit selten bietet, sagten wir natürlich gerne zu.
Der Bomber wurde bei dem ersten Luftangriff auf die Heeresversuchsanstalt Peenemünde in der Nacht vom 17. auf den 18. August 1943 durch Flak-Artillerie oder durch Nachtjäger abgeschossen. Der durch die Royal Air Force durchgeführte Angriff konzentrierte sich vor allem auf die östlich von Peenemünde liegenden Fertigungsstätten sowie auf die Wohnbereiche der Wissenschaftler und Arbeiter. Die Entwicklung der Raketentechnik in Peenemünde wurde dadurch um Monate zurück geworfen. Neben den Opfern unter den Arbeitern und Wissenschaftlern der Heeresversuchsanstalt verloren auch zahlreiche Bomberbesatzungen ihr Leben. Insgesamt wurden 40 der angreifenden Bomber abgeschossen.
Für die BBC bestand unsere Aufgabe darin zu klären, ob es sich bei dem Wrack wirklich um die Reste einer Lancaster oder, wie manche Quellen angeben, um eine Halifax handelt. Zudem sollten nach Möglichkeit Videoaufnahmen des unter Wasser liegenden Rumpfes angefertigt und die Dreharbeiten durch unsere Bootslogistik unterstützt werden.
Für uns ging es weiterführend darum für die Dreh- und Taucharbeiten gefährlichen Unterwasserhindernisse zu orten, um Taucher und Technik nicht zu gefährden. Sowie durch eine Befunddokumentation soviel wie möglich über das Wrack und seine Geschichte heraus zu finden. Im Rahmen dieser Erstdokumentation sollten keinerlei Eingriffe in den archäologischen Befund vorgenommen werden.
Erstens: Eingriffe in Bodendenkmale sollten grundsätzlich so weit wie möglich vermieden werden, um keine wichtigen Informationen zu zerstören.
Zweitens: weil das Wrack eine potenzielle Begräbnisstätte ist, die es zu respektieren gilt.
Drittens: aus Sicherheitsgründen, da aktuell noch unklar ist, ob sich möglicherweise noch Teile der ehemaligen Ladung (Bomben) im Wrack befinden.
Die Dreharbeiten sollten an einem oder zwei Tagen in der Zeit vom 16. bis 19. März stattfinden. Die etwas unscharfe Terminierung erlaubte uns somit im günstigsten Fall drei bis vier Tage Forschung vor Ort, sodass wir hofften auch das nähere Umfeld des Wracks erkunden zu können. Dazu hatten wir in Vorbereitung auf den Einsatz Luftbilder der Alliierten aus den Wochen vor und nach dem Angriff gesichtet. Durch den Vergleich der Vorher-/ Nachher-Situation auf den Aufnahmen gelang es uns einige Anomalien zu ermitteln, an denen weitere Trümmerteile zu erwarten waren. Die drei am meisten Erfolg versprechenden Anomalien sollten vor Ort näher untersucht werden.
Hoch motiviert und top vorbereitet fuhren wir am 15. zu viert nach Peenemünde und besichtigten die Möglichen Zugänge zum Seeufer für unser Tauchteam mit Boot und Ausrüstung. Dunkle Wolken am Himmel kündeten für die kommenden Tage für die Jahreszeit typisches, aber für unser Vorhaben sehr ungünstiges Wetter an, was sich am nächsten Morgen zum Missmut aller auch bestätigte. Der Wind pfiff mit rund 9 Bft über die nahe gelegene Ostsee und rüttelte an den Bäumen, welche das Seeufer schützten. Glücklicherweise zeigten sich auf der Seeoberfläche nur kleine Wellen, sodass wir uns dazu entschlossen einen Versuch zu vagen.
Kaum zwei Stunden später war das Boot im Wasser, die Ausrüstung verstaut und wir in unseren Tauchanzügen an Bord und auf dem Weg zum Wrack. Um eine zu starke Abdrift zu vermeiden steuern wir im weiten Bogen gegen den Wind und erreichten das Wrack. Das Schlauchboot verankern wir erst einmal etwa 100m vom Ziel entfernt. So sollten Schäden an ggf. noch in der Nähe des Wracks liegen unbekannten Flugzeugtrümmern verhindert werden. Weiter verringert das die Gefahr sich beim Einstieg an Trümmerteilen aufzuspießen oder das Schlauchboot mit denselben zu perforieren.
Der Einstieg ins Wasser erfolgte daher entsprechend vorsichtig – und das zu recht, denn der See war hier kaum 1m tief. Die ersten Erkundungen im Umfeld bestätigten leider unsere Befürchtungen betr. der Sichtweite. Man sah die Hand vor den Augen nicht. An Videoaufnahmen war so nicht zu denken und die Bedingungen besserten sich auch in den restlichen Projekttagen nicht. Frei nach dem Motto: „Des Tauchers Augen sind die Hände“ mussten wir somit von visueller auf vorsichtig tastende Dokumentation umstellen. Auf diese Weise wurde zuerst das näher Umfeld des Wracks auf aus dem Seegrund aufragende Trümmer untersucht und die gefundenen Hindernisse mittels Fluchtstangen markiert. So gelang es uns einen ungefährlichen Anfahrtsweg zu markieren und das Wrack in den kommenden Tagen direkt anzufahren. Dies erleichterte die durch die schlechten Sichtbedingungen unter Wasser schon stark behinderten Dokumentations- und Vermessungsarbeiten sehr.
Der Abgleich der Dokumentationsdaten mit den verfügbaren Konstruktionszeichnungen zeigte schnell, dass es sich bei dem Wrack tatsächlich um einen Lancaster-Bomber handelt. In Verbindung mit dem in der Nähe geborgenen und aktuell im Historisch Technischen Museum Peenemünde ausgestellten Motor lässt sich zudem belegen, dass es sich um ein Lancaster Modell MK III handelt. Damit war die Identifizierung des Flugzeugwracks als DV 202, wie in der Dokumentation vorgestellt, sehr wahrscheinlich.
Das Flugzeug ist unter Schlick von der Pedalerie des Piloten im Bug, bis vor den oberen Turm am Heck erhalten. Die oberen Bereiche des Rumpfes wurden jedoch im Verlauf der Jahre durch Eisgang zerstört und auf das zentrale Segment um den oberen Notausstieg herum reduziert. Weiter mussten wir feststellen, dass im Inneren des Wracks alle zugänglichen Bauteile etc. bereits mutwillig entfernt wurden. Die Taucher konnten dort keine der in den Konstruktionszeichnungen verzeichneten Bauteile ertasten. Dafür ist die Tragfläche an der Backbordseite fast vollständig erhalten. Der äußere Motor fehlt zwar, doch ist der innere Motor sehr wahrscheinlich noch in Position. Seine Abdeckung ließ sich zumindest vollständig ertasten. Die Erhaltung der Steuerbordseite ist dagegen deutlich schlechter. Die Tragfläche ist nur noch am Ansatz erhalten und auf der Höhe des inneren Motors abgerissen. Der äußere Bereich fehlt. Von ihm konnten im näheren Umfeld lediglich kleinere Fragmente ermittelt werden. Ebenso fehlt der komplette Heckbereich ab dem Turmansatz, sein Verbleib ist bislang noch unklar.
Verschiedene Kränze und anderer Zierrat am Wrack deuteten an, dass der See doch häufiger befahren zu werden scheint, als das Fahrverbot und die Polizeikontrolle bei unseren Arbeiten vermuten lassen. Die Erhaltung des Wracks erscheint daher sowohl durch anthropogene, also auch durch natürliche Faktoren stark bedroht. Neben den Sammlern von Militaria gefährdet besonders der im Frühjahr einsetzende Eisgang die fragile Struktur, sodass eigentlich dringend Sicherungsmaßnahmen ergriffen werden müssten, um den derzeitigen Zustand zu erhalten.
Die Dreharbeiten zur Dokumentation fanden am 18. März statt. Trotz der etwas ungünstigen Witterung gelang es uns mit allen Beteiligten gut zum Wrack und wieder zurück zu kommen. Es war ein bewegender Moment Frau Towlsen an der mutmaßlichen Grabstätte ihres Vaters zu erleben. Das ist auch den Filmaufnahmen am Ende der Dokumentation zu entnehmen und es ermahnt uns mit diesem Zeitzeugnis verantwortungsbewusst umzugehen. Daher bitten wir hiermit alle Leser die doch mal mit dem Gedanken an einen Besuch des Wracks spielen darum, sich an das Befahrverbot des Sees zu halten und von weiteren Zerstörungen am Wrack abzusehen. Dieses Flugzeug ist eines der letzten originalen Zeugnisse der Vorgänge in Peenemünde und sollte uns allen als Mahnmahl erhalten bleiben. Dazu bedarf es aber nicht nur Glück gegenüber Wind und Wetter, sonder auch der Mithilfe aller!