Landesverband für Unterwasserarchäologie

Mecklenburg-Vorpommern

Hiddensee 84

20. März 2013

Am 12. August 2012 ließ die Meldung von der Wiederentdeckung der GROSSFÜRST CONSTANTIN II vor Rügen die Freunde der Unterwasserarchäologie aufhorchen. Dieses Schiff stand am Beginn einer schiffbautechnischen Revolution. Es stand mit am Anfang einer Epoche, in der innerhalb nur weniger Jahrzehnte der Eisenschiffbau den Holzschiffbau im Bereich der Handelsflotten verdrängte. Das macht gerade dieses Schiff als Zeuge des Umbruchs für die Dokumentation der Seefahrtsgeschichte sehr wertvoll, sodass eine Erhaltung des Wracks zwingend erforderlich wäre.

Zur Klärung des notwendigen Sicherungsbedarfs beauftragte die Zuständige Denkmalschutzbehörde den Landesverband für Unterwasserarchäologie M/V. Die Finanzierung wurde über eine Förderung durch das Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur M/V sichergestellt. In einem dreigliedrigen Projekt waren folgende Untersuchungen geplant:

1. Sichtung und Auswertung historischer Quellen

2. Archäologische Dokumentation des Befundes, um Art und Umfang der Sicherungsmaßnahmen zu ermitteln.

3. Verifizieren des Wracks mittels Holzproben, Dendrochronologie und bautechnischer Merkmale.

Mit den für die Förderung notwendigen Anträgen und Formalien verstrichen wertvolle Wochen, doch dank des großen Engagements aller Beteiligten lagen zum 01. Oktober alle notwendigen Genehmigungen und Bescheide vor. Nun galt es sich zu beeilen, da die Herbst- und Winterstürme vor der Tür lauerten und das Ende des Förderzeitraums auf den 31. Dezember 2012 terminiert war.

Sichtung und Auswertung historischer Quellen

Eine erste Vorstellung vom Erscheinungsbild des gesuchten Schiffes lieferte das „Kapitänsbild“, welches Heinrich Rahden in seinem Werk „Die Schiffe der Rostocker Handelsflotte“ veröffentlichte. Darauf sind die beiden Schwesterschiffe ERBGROSSHERZOG FRIEDRICH FRANZ II und GROSSFÜRST CONSTANTIN II abgebildet, wobei sich das baugleiche Schwesterschiff im Vordergrund befindet. Die Abbildung lässt verschiedene bauliche Charakteristika erkennen, doch sind dem Bild konstruktive Details kaum zu entnehmen.

Die Schwesterschiffe GROSSFÜRST CONSTANIN II und ERBGROSSHERZOG FRIEDRICH FRANZ (Rahden 1941, Abb. 402)

Unglücklicherweise fanden sich in dem im Rostocker Stadtarchiv gefundenen Dokumenten der Rostocker Seedampfschifffahrts-Gesellschaft (Eigentümerin der beiden Schraubendampfer) keine näheren Angaben zum Aussehen und der Ausrüstung des Schiffs. Dafür erwies sich die Rostocker Zeitung als Fundgrube zahlreicher und teils recht detaillierter Informationen zum Schraubendampfer GROSSFÜRST CONSTANTIN II. So scheint sich die für 1857 geplante Fertigstellung des Schiffs stark verzögert zu haben. Verschiedene Aktionäre beklagen sich darüber öffentlich und greifen dabei die Geschäftsführung der Rostocker Seedampfschifffahrts-Gesellschaft scharf an. Über den Winter 1857/58 muss es dann fertig gestellt worden sein, da mit einsetzendem Tauwetter für den 20. März 1858 von seiner ersten Probefahrt berichtet wird. Hierbei habe es sich auf seinem Weg von der Tischbeinwerft nach Warnemünde durch eine 10 bis 12 Zoll (etwa 25 – 30cm) mächtige Eisdecke kämpfen müssen.

Die erste Fahrt nach St. Petersburg startete am 06. Mai um 2 Uhr nachmittags. In diesem Artikel werden auch die Größe des Schiffs genannt und seine Eigenschaften gepriesen. Demnach war es über Deck 185 Fuß (etwa 53 m) lang, 23 Fuß (etwa 6,6 m) breit und 13 Fuß (etwa 3,7 m) tief. Die Tragfähigkeit wird mit 112 Rostocker Lasten angegeben. Zudem habe es Kajüten für 62 Passagiere besessen. Seinen Zielort erreichte die GROSSFÜRST CONSTANTIN II bei ihrer Jungfernfahrt am 12. Mai um 10:15 Uhr nach fast sechs Tagen Fahrtzeit. Später schaffte es diese Strecke bei gutem Wetter in etwas über 3 Tagen. Nach der Rückkehr am 18. Mai berichtete Kapitän Ahrens, dass das Schiff bei 82 bis 84 Umdrehungen der Schiffsmaschine 10 Meilen in der Stunde gelaufen sei.

Detailliertere Angaben zu der möglichen Schiffsmaschine fanden sich erstaunlicherweise in dem Übersichtswerk „Die Entwicklung der Dampfmaschine“ von Conrad Matschoß aus dem Jahr 1908. Im Kapitel über „Die schrägliegende Maschine“ berichtet er, dass Tischbein für den Bau von Schraubendampfschiffe auf seiner Rostocker Werft mehrere dieser schräg liegenden Maschinen in seiner Fabrik in Buckau fertigen ließ. Eine dieser 1856 gebauten Maschinen beschreibt Matschoß näher. Sie besaß zwei im Winkel von 90° einander zugeneigte Zylinder von 36 Zoll (914mm) mit zwei unter diesen liegenden Luftpumpen und Kondensatoren. Zudem fügte er eine nach Originalunterlagen gefertigte Zeichnung bei von welcher die Vorderansicht unten abgebildet ist. Auf Grund des ursprünglich geplanten Fertigstellungstermin der GROSSFÜRST CONSTANTIN II im Frühsommer 1857 ist davon auszugehen, dass es sich bei den genannten Dampfmaschinen um die Schiffsmaschinen der beiden oben genannten Schraubendampfer handelte.

Tischbeinsche Schiffsmaschine 1856 (Matschoß 1908, Abb. 622)

Weiter fanden sich in der Rostocker und Stralsundischen Zeitung detaillierte Informationen zur letzten Fahrt der GROSSFÜRST CONSTANTIN II, sodass ihr Untergang gut rekonstruiert werden konnte.

Demnach traf das Schiff am 20.01.1861, aus Leith kommend und mit Eisen und Kohlen beladen, vier Seemeilen vor Warnemünde auf eine Eisbarriere, die ein Weiterkommen verhinderte. Beim Versuch zu wenden, um einen eisfreien Hafen anzulaufen wurde das Schiff im Treibeis eingeschlossen. Am Folgetag setzte Tauwetter ein. Das Treibeis löste sich vom Ufer und vertrieb mit Wind und Schiff entlang der Küste nach Nordosten. Dabei konnte das Schiff von Warnemünde aus noch bis zum 22.01.1861 gesehen werden.

Am 25.01.1861 geriet das Schiff westlich von Hiddensee in eine Eispressung. Die Eisenplatten der Schiffswand im Bugbereich hielten diesem Druck nicht stand und schlugen leck. Es drang dabei beständig so viel Wasser ein, „dass zwei Mann ständig an den Pumpen gehalten werden mussten“. Weiter fiel durch das eindringende Wasser die Maschine aus und durch die Eisbewegungen am Schiff zerbrach das Ruder. Das Schiff hatte nun einen bedenklich seeuntüchtigen Zustand erreicht – Ruderausfall, Maschinenausfall und eine Leckage!

Wegstrecke des im Eis eingeschlossenen Schraubendampfers gemäß Unfallbericht Kapitän Ahrens.

Das seeuntüchtige Schiff driftete mit dem Eis weiter an der Küste entlang, wo es am Folgetag (26.01.1861) im Sturm erneut in eine Eispressung geriet – diesmal vor der Halbinsel Wittow/Rügen auf der Höhe von Lancken , etwa eine Meile vom Ufer entfernt. Nach dem Bericht von Kapitän Ahrens türmten sich die Schollen dabei hoch über Deck auf und das Leck im Rumpf vergrößerte sich. In sehr kurzer Zeit stieg das Wasser im Maschinenraum auf sieben Fuß (etwa 2,10 m; Stralsundische Zeitung vom 29.01.1861). In der Rostocker Zeitung vom 30.01.1861 hieß es sogar, dass Schiff sei vom Eise zerschnitten worden.

Etwa gegen 18 Uhr erteilte der Kapitän den Befehl das Schiff zu räumen. Die 17 köpfige Besatzung kämpfte sich anschließend etwa eineinhalb Stunden über das Eis an Land, wobei sie häufig die Richtung verloren und offene Stellen und sich auftürmende Eismassen umgehen mussten. Sie erreichten das Ufer erst, als die Lotsen zu Posthaus Laternen anzündeten, an denen sich die Besatzung orientieren konnte. Das Schiff sei unterdessen auf der Höhe von Schwarbe bereits gesunken gewesen.

Interessanterweise wurde die obige Aussage des Kapitäns durch ein Gerücht in Frage gestellt, wonach das Wrack noch am 02.02. treibend vor Hiddensee gesichtet wurde. Am 08.02. wurde in einem Artikel der Rostocker Zeitung ein Klarstellung gedruckt, wonach Kapitän Ahrens Fischer aus Hiddensee als Quelle dieses Gerüchts ausmachte. Auf Befragung derselben hätten diese aber ausgesagt, dass es sich dabei um ein Missverständnis handeln täte. Diese Klarstellung scheint damals von allen Beteiligten als glaubhaft wahrgenommen worden zu sein. Es muss somit davon ausgegangen werden, dass die GROSSFÜRST CONSTANTIN II am 26.01.1861 rund 1 Seemeile vor Schwarbe sank.

Archäologische Dokumentation des Befundes

Zur Vorbereitung der taucharchäologischen Untersuchungen am Wrack wurde der Befund und sein näheres Umfeld zuerst mittels Side-Scan-Sonar dokumentiert. Hierbei zeigten sich sogleich die Herausforderungen des Herbstes. Tagelang türmte der Westwind über der Fundstelle Wellen auf, welche die geplanten Aufnahmen unmöglich machten. Als der Wind schließlich nachließ, setzte der Arkonastrom ein. Dieser beförderte nun das vom Wind nach Osten geblasen Wasser mit beachtlicher Geschwindigkeit wieder nach Westen und verhalf dabei unserem Schleppsonar zu einem unangenehmen Eigenleben. Mit der notwendigen Hartnäckigkeit gelangen dennoch akzeptable Aufnahmen.

Sonarbild des Befundes Hiddensee 84.

Auf dem Sonarbild ist die Dreigliedrigkeit des Wracks deutlich erkennbar. Ebenso klar erkennbar ist die Lage des Bugbereiches im Westen und des Hecks im Osten. Zudem deutet der Sonarschatten im Mittelbereich auf einen schlanken, hohen Befund in diesem Segment hin. Dabei könnte es sich um Relikte eines Schornsteins etc. handeln, welcher den Resten der Kesselanlage aufsitzt. Die Einzelbereiche werden durch freie Flächen getrennt, wie sie im Sonarbild in der Regel durch ehemalige Laderäume erzeugt werden, nachdem die Bordwände erodierten. Das Schiff dürfte somit einst zwei Laderäume besessen haben, welche durch den Schiffsantrieb voneinander getrennt waren – eine klassische Bauweise von Dampfschiffen.

Die Sonardaten ermöglichten eine detaillierte Einsatzplanung. Da die meisten Signifikanten Informationen zu dem Schraubendampfer GROSSFÜRST CONSTANTIN II aus den Vor- und Achterschiff stammten, sollten beide Bereiche zuerst dokumentiert werden. Für die Antriebssektion mit den dort zu vermuteten komplexen Strukturen war eine Übersichtsdokumentation vorgesehen, um bei Bedarf die weiteren Arbeiten zielgerichtet angehen zu können.

Die ersten Tauchgänge führten in den Bugbereich. Markante Elemente dort waren der schräg aufragende Rest der Steuerbordseite, die Ankerwinde samt zwei verschieden großer Anker im Umfeld sowie der über 11 m lange Rest eines Mastes oder Ladebaums. Der schräg in das Wrack gekippte Rest der Bordwand trug außen im oberen Bereich eine hölzerne Scheuerleiste und an der Innenseite fanden sich die auf schmalen Trägern befestigen Planken eines Zwischendecks. Das darüber liegende Oberdeck war mit samt seinen Wandelementen fast vollständig erodiert. Einzig einige fragmentierte Decksplanken aus Eichenholz blieben unterhalb der Ankerwinde und in derem näherem Umfeld erhalten.

Die Ankerwinde verfügte backbordseitige über eine Kettennuss samt einer schweren, durch Stege verstärkten Kette. Steuerbordseitig besaß die Winde ein Verholspil, auf welchem sich noch die Reste einer dünneren Kette befanden. Zudem fand sich auf der Stirnseite des Spils ein Drehkreuz für die manuelle Betätigung der Winde. Ob sich neben dieser manuellen Drehvorrichtung auch noch ein mechanischer Antrieb an der Ankerwinde befand, ließ sich vorerst nicht eindeutig klären. Weitere Erkenntnisse könnte hier die nähere Untersuchung der backbordseitig an die Kettennuss angrenzende Baugruppe ergeben, deren Funktion aufgrund des starken Muschelbewuchses nicht geklärt werden konnte.

Ein weiteres interessantes Detail war der östliche, der beiden im Wrack liegenden Anker. Wie bei dem weiter westlich im vorderen Bugbereich liegenden Anker handelte es sich um einen Stockanker, jedoch wirkte er an seiner Fundstelle, im Bereich des vorderen Laderaums, deplatziert. Die Arme des Ankers lagen eben auf Grund, der Schaft verlor sich unter Sediment und der Ankerstock erschien erodiert. Neben einer Flunke ragte ein verbogenes Stück Kupferrohr aus dem Sediment, dessen Deformation gut zur Flunke passte. Es erschien daher sehr wahrscheinlich, dass dieser Anker sich einst im Wrack verhakte und einen Teil der sichtbaren Schäden erzeugte. Er gehörte somit eher zu einem anderen Schiff und nicht zum untersuchten Wrack.

Ankerdetail mit einem deformierten, neben der Flunke aus Sediment Ragenden Rohrfragment (Foto: M. Siegel).

Rund 11 m weiter östlich ragte das Mittelsegment eindrucksvoll aus dem Meeresboden. Das markanteste Element war der wuchtig aufragende rechteckige Rest des Schiffskessels. Die Westseite der Kesselanlage war geschlossen und ohne markante Schäden, sodass hier vom Erhalt der ursprünglichen Form ausgegangen werden konnte. Anders die Ostseite. Dort war der Kessel stark zerstört und gewährte einen ersten Einblick in sein Inneres. Schemenhaft waren in der dunklen, von Miesmuscheln überwachsenen Wandung die neben- und übereinander angeordneten Rauchrohre erkennbar. Sie reichten bis relativ dicht unter den oberen Abschluss der Kesselanlage heran, was zu einem wohl recht kleinen Dampfraum führte, wie er für Zylinderkessel typisch ist. Die älteren Kofferkessel waren dagegen für ihren großvolumigen Dampfraum geschätzt, der als Garant für Betriebssicherheit galt. Bei dem mächtigen, über dem Kessel aufragenden Rohr handelte es sich wohl um den Fuß des Schornsteins. Der detaillierte Aufbau der Kesselanlage wäre in weiteren Untersuchungen zu erforschen.

Den östlichen Abschluss des zerklüfteten, stark fragmentierten Mittelsegments bildet die Schiffsmaschine. Sie war aus ihrer ursprünglichen Position verdreht und auf die Seite gekippt. Deutlich war die ebene ehemalige Standfläche der Maschine erkennbar, was eine Interpretation als stehende Dampfmaschine, auch Hammermaschine, zuließ. Der erkennbare Zylinder saß oben auf einem dreieckigen Rahmen und hatte einen auffallend geringen Durchmesser. Weiter ließ der Befund den unteren Teil eines zweiten dreieckigen Rahmens erkennen, welcher in seinem oberen Bereich vom Sediment verdeckt wurde. Da den Schiffsmaschinen im Allgemeinen eine gewisse Symmetrie zu eigen war, konnte auf eine zweizylindrige Maschine geschlossen werden. Auffallend daran war, die große Distanz beider Zylinder zueinander. Dies war ungewöhnlich für Dampfmaschinen, da sich bei kleinen, einzeln stehenden Zylindern die Wärmeverluste vergrößerten. Das führte zu einer erhöhten Kondensatbildung in den Zylindern und damit zu einem Verlust an Leistung, was man in der Regel durch kompakte Bauweisen zu minimieren versuchte. Eine verlustärmeres Abweichen von diesen kompakten Bauformen ermöglichte erst die Dampfüberhitzung am Ende des 19. Jahrhunderts.

Weiter auffallend waren die geringen Durchmesser der zu dem sichtbaren Zylinder führenden Dampfrohre. Auch dieses Detail passt eher zu hohen Dampfdrücken, wie sie mit der Einführung der Dampfüberhitzung unvermeidbar waren. Die Schiffsmaschine war das faszinierendste Untersuchungsobjekt im Wrack und sollte in ihrem äußeren Erscheinungsbild zukünftig detaillierter dokumentiert werden.

Östlich der Dampfmaschine lag ein fundarmer rund 10 m breiter Bereich, der als achterlicher Laderaum interpretiert wurde und an den das Hecksegment anschloss. Dieses hatte eine Länge von rund 7 m und war in weiten Teilen mit Netzen behängt. Auf der Nordseite des Wracks öffneten sich die Netze partiell und gaben einen detaillierteren Einblick. Der Achtersteven besaß eine rechteckige Schraubenöffnung von 0,78 m Breite. Eine Schiffsschraube war nicht erkennbar, ebensowenig eine Öffnung für ein Stevenrohr oder Reste der Schraubenwelle. Weiter fehlte das Ruder, wobei sich die oberen Halterungen des Ruders und die Ruderwelle noch in Position befanden. Da einige der im Umfeld auf dem Seeboden liegenden Bruchstücke dem Ruderblatt zugerechnet werden konnten, erschien es sehr wahrscheinlich, dass diese Zerstörungen durch die im Umfeld hängenden Schleppnetze und deren Trossen und Grundtauen verursacht wurden. Es sollten sich nach der Befundlage noch weitere Reste des Ruders unter Sediment im Seeboden befinden.

Über den Seeboden ragten die Reste des Hecks noch etwa 2 m auf, wobei die Ruderwelle den Rumpf noch um mehr als einen weiteren Meter überragte. Verbunden mit den über dem Wrack hängenden Netzen ergab sich so ein stimmungsvolle Motiv für Fotografen, doch leider waren alle weiteren oberhalb des Achterstevens liegenden Teile der Schiffswandung erodiert. Die ehemalige Form des Hecks ließ sich so nicht mehr eindeutig ermitteln.

Verifizieren des Wracks mittels Holzproben, Dendrochronologie und bautechnischer Merkmale

Anhand der archäologischen Übersichtsdokumentation ergab sich somit folgenden Bild:

  • Zwei Stockanker im Bugbereich, davon der östliche Anker wahrscheinlich sekundär in das Wrack eingetragen.
  • Eine massive Ankerwinde mit Kettennuss und Verholspil sowie einem backbordseitig ansetzendem, undefiniertem Funktionsteil. Eine manuelle Handhabung der Winde ist über ein Drehkreuz möglich, erscheint aber aufgrund der Windengröße und der Lage des Drehkreuzes für den „Normalbetrieb“ unwahrscheinlich.
  • Ein verhältnismäßig gut erhaltener Schiffskessel. Die Proportionen des über den Feuerrohren liegenden kleinen Dampfraums lassen auf einen auf hohe Dampfdrücke ausgelegten Zylinderkessel schließen.
  • Eine Dampfmaschine (Symmetrie vorausgesetzt) aus zwei weit auseinander stehenden und fragil wirkenden, aufrecht stehenden Zylindern. Diese Bauart ist für den Einsatz bei hohen Dampfdrücken geeignet, wie sie ab dem späten 19. Jahrhundert üblich wurden. Von ihrem äußeren Erscheinungsbild fanden sich die besten Übereinstimmungen mit einer Stumpfschen Gleichstromdampfmaschine. Diese kamen ab den 1920iger Jahren auch vermehrt im Schiffbau zum Einsatz, um gegen die immer effektiveren Verbrennungsmotoren zu bestehen.
  • Der Bruch des Ruders am Wrack geschah gemäß der interpretierbaren Streufunde sehr wahrscheinlich sekundär durch die Wucht der sich am Wrack verhakenden Schleppnetze, welche sich noch in situ finden.
  • Das Wrack wird durch zwei relativ fundarme Bereiche, die als Relikte von Laderäumen interpretiert werden vom Bug- und Hecksegment getrennt.

Alle diese Merkmale deuten auf ein Dampfschiff hin, welches im späten 19. oder frühen 20. Jahrhundert die Meere befuhr. In die gleiche Zeitstellung weist auch die Dendrochronologie. Von den im Wrack genommenen Holzproben verfügte leider nur eine Probe aus Eichenholz über die ausreichende Anzahl an Jahresringen, um eine Datierung zu ermöglichen. Diese Probe mit der Nr. SN 26084 ergab ein Fälldatum von um/nach 1904 für den Baum aus dem das Holz geschnitten wurde. Die Klassifizierung „um/nach“ bedeutet, dass in der Probe nur das Kernholz und kein Splintholz erhalten war. Bei dem Splintholz handelt es sich um die äußere Schicht des Stammholzes, welche direkt unterhalb der Rinde beginnt und das bei Eichen in unseren Breiten 15 bis 20 Jahresringe mächtig sein kann. In diesem Fall wird dann auf das ermittelte Alter des letzten gemessenen Jahresringes an der Probe (hier 1884) die maximale Mächtigkeit des Splintholzes hinzu gerechnet (hier 20 Jahre). Der Baum konnte somit frühestens 1904 gefällt worden sein, vermutlich aber etwas später.

Anhand der oben genannten Befunde musste abschließend festgestellt werden, dass alle im Wrack Hiddensee 84 dokumentierten Hinweise auf ein Dampfschiff schließen lassen, welches frühestens am Ende des 19. Jahrhunderts erbaut wurde. Die Dendrochronologie legt nahe, dass es im frühen 20. Jahrhundert noch über die Ostsee fuhr, bevor es vor Hiddensee sank. Daher musste die Identifizierung des Wracks mit dem Schraubendampfer GROSSFÜRST CONSTANTIN II falsifiziert werden. Wir bedauerten dies zutiefst, da somit die für unsere Schifffahrtsgeschichte so bedeutenden Reste des 1861 gesunkenen Schraubendampfschiffs noch unentdeckt auf dem Meeresboden liegen und nicht für die Nachwelt erhalten werden konnten. Zudem bedauerten wir, dass dadurch auch die Notwendigkeit weitere Untersuchungen – und damit deren Finanzierung entfiel. Die Frage welches Schiff am Fundort Hiddensee 84 blieb somit offen und wartet darauf gelöst zu werden.